Die Rückkehr des Monsters

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Originaltitel:Il ritorno del mostro, ursprünglich erschienen 1987, Italien
Autor: Tiziano Sclavi
Zeichner: Luigi Piccatto

Beobachtungen von Tobias O. Meißner

S. 112 – ein brutaler Panty-Shot im ersten Bild, ganz schön schockierend bei einer Leiche …
– Die schauerliche Einleitungssequenz wird genüsslich zehn Seiten lang zelebriert.
– Leonora Steeles dominante Gehässigkeit hat Sclavi sehr gut eingefangen. Barbara Steele war übrigens eine ikonische Horrorfilm-Darstellerin, die zwar völlig anders aussah als die blonde Leonora, aber ebenfalls immer eine eher kalte, unbarmherzige Ausstrahlung hatte.
– S. 127: Die Irrenanstalt entspricht mit ihren Freitreppen dem titelgebenden “Asylum” von 1972 (Regie: Roy Ward Baker), keine Hammer-Produktion diesmal, sondern von der Konkurrenzfirma Amicus.
– S. 135: Ich finde es auffällig, wie immer darauf geachtet wird, dass Damiens Gesicht nicht gezeigt wird. Warum? Welche Bedeutung könnte sein Gesicht haben?
– S. 137: Hier wird deutlich, dass Damien (obwohl er seinem Namen nach eher aus den “Omen”-Filmen entsprungen wirkt) eigentlich aus dem “Halloween”-Universum stammt. Sechzehn Jahre lang in der Anstalt geschwiegen, um dann am Jahrestag seines Massakers zurückzukehren – das ist Michael Myers pur. Interessant ist dabei, dass Myers in John Carpenters Original von 1978 wirklich ein mythisches Überwesen ist, das sogar unsterblich zu sein scheint, während Rob Zombie ihn in seinem Reboot von 2007 zuerst eindampft auf den soziopathischen Spross einer schlimmen White-Trash-Familie, und ihn folgerichtig auch sterben lässt, während er ihn in der Fortsetzung von 2009 wieder in den Rang eines Überwesens erhebt, das für alles Verdrängte und Gefürchtete steht. Sclavis Damien steht (auch zeitlich) zwischen diesen Personifikationen, er besitzt die Übermenschlichkeit von Carpenters Myers und die hünenhafte Präsenz mit ärmlicher Herkunft von Rob Zombies erstem Myers.
– S. 140: Hier wird in den ersten vier Bildern deutlich auf “Einer flog übers Kuckucksnest” angespielt, ich fragte mich schon, wann das kommt. “Dylan Dog” kann eine solche Steilvorlage eigentlich nicht auslassen.
– Die Fluchtsequenz auf den Seiten 140 bis 143 ist spannend und unheimlich, aber genau genommen ergibt es keinen Sinn, dass ein Heim für gutbetuchte Patienten drakonisch abgesichert ist wie ein Gefängnis für Schwerverbrecher. Was würden die Angehörigen, die mit sicherlich horrenden Beiträgen die Anstalt finanzieren, dazu sagen, wenn ihr Onkel Lord Sowieso beim Spazierengehen in einen Stromzaun läuft, oder sich an Glasscherben auf einer Mauer zerschneidet? Sie wären sicherlich not amused. Nein, eine solche Einrichtung hätte sehr sanfte und defensive Absperrungen, zum Beispiel einfach nur eine hohe, glatte Mauer. Reicht ja schon.
– S. 146: Lustig, dass Dylan nach Dylan Thomas benannt wurde, und nicht nach Bob Dylan, der sich ja auch nach Dylan Thomas benannt hat.
– S. 147: Sehr schön, wie auf der vorhergehenden Seite über Dylans Nachnamen geredet wird, und diese Seite folgerichtig mit einem Hund beginnt.
– S. 157: Auf dieser Seite findet Dylan heraus, dass Leonora nicht von Geburt an blind ist, sondern es erst als Schock-Reaktion auf das Massaker wurde. Das steht aber in krassem Widerspruch zur ausführlichen Einleitungssequenz, in der wir zehn Seiten lang Zeugen werden, wie Leonora bereits blind war, bevor sie das Massaker überhaupt wahrnahm. Schaut man sich die Szene jetzt allerdings daraufhin noch einmal an, fällt auf, dass sich gleich auf der ersten Seite dieser Geschichte (S. 111) ein Spiegel in Leonoras Zimmer befindet, was bei einer Blinden nicht allzuviel Sinn ergibt. Irgendetwas stimmt hier nicht …
– S. 168: Klasse, wie Dylan erst todesmutig in den Brunnen steigt und ihm dann auffällt, dass er gar nicht “so ein Held” ist. Er möchte umkehren und wieder hochgehen, wird aber an seiner vernünftigen Feigheit gehindert.
– S. 177: Seine Klaustrophobie ist in diesem Kriechgang wirklich sicherlich noch zehnmal schlimmer als unten im Brunnen, wo man wenigstens den Himmel sehen kann.
– S. 182: Woah, was ist das denn für ein unterirdisches Schloss? Das geht unterhalb des Brunnengrundes nochmal mindestens vier, fünf Stockwerke in die Tiefe? Und oberhalb der Falltür waren überall Fackeln an (wer hat die eigentlich angezündet?), aber wo kommt das Licht her für das spektakuläre Bild auf S. 182? Ich vermute, wir bewegen uns hier schon längst wieder nur im reinen Unbewussten und Verdrängten …
– S. 185: Hier wird Damien “demaskiert”, und der Grund, weshalb man sein Gesicht bislang nie sehen durfte, ist: Es sieht traurig und seelenvoll aus.
– S. 188, fünftes Bild: Ein Zitat aus der “Der Glöckner von Notre Dame”-Verfilmung von 1939, mit Charles Laughton als Quasimodo. Dylan hatte ja in einer der ersten Episoden einen originalen Gargoyle von Notre Dame in seinem Schreckenskabinett-Hausflur. Hier bekommt der Gargoyle aber sogar noch eine praktische Funktion.
– S. 190/1: Das Monster hoch zu Ross ist ein starkes und ungewöhnliches Bild. Es kommt selten vor, dass schwergewichtige Ungeheuer reiten, in der Regel stapfen sie nur herum.
– S. 197: Hier entdeckt Dylan den Widerspruch in der Geschichte, den wir Leser schon vorher feststellen konnten (vgl. meine Anmerkung zu S. 157).
– S. 201: Und hier wird alles aufgeklärt. Genial: Die Einleitungssequenz spielt einen Tag nach dem Massaker, Leonora ist inzwischen erblindet und hat alles vergessen/verdrängt. (Symbolstichwort: fünf Stockwerke abwärts im Verborgenen…)
– S. 206: Was für ein Ende! Schockierend und tragisch, aber absolut schlüssig.
Diese Folge ist ein Meisterwerk von A-Z, brillant konstruiert, vielschichtig, von der Atmosphäre her enorm spannend. Auch Dylans Rolle darin als “Katalysator” ist originell gelöst. Mir vollkommen schleierhaft, weshalb diese Episode bei der ersten deutschen Dylan-Dog-Ausgabe weggelassen wurde, mit der Qualität kann das nicht das Geringste zu tun haben. Umso begeisterter kann man jetzt von dieser vollständigen Edition sein.