Die Schönheit des Dämons

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Originaltitel:La bellezza del demonio, ursprünglich erschienen 1987, Italien
Autor: Tiziano Sclavi
Zeichner: Gustavo Trigo

Beobachtungen von Tobias O. Meißner

–  Diese Episode ist wieder (wie Episode 2) von dem bislang schwächsten aller Dylan-Dog-Zeichner umgesetzt, der seine Zeichnungen mit sehr wenig zusätzlichen Informationen anreichert.
– Der Einstieg ist sehr gelungen, sehr eigenartig, sehr gut geschrieben. Ein Killer, der nach dem Weltkrieg quasi arbeitslos geworden ist. Eigentlich eine mehr amerikanische Hardboiled-Figur in britischem Umfeld.
– S. 208, erstes Bild: Hier gelingt es dem Zeichner gut, den unverwechselbaren, vor allem durch “unsäglich müde Augen” charakterisierten Stil des Zeichners Joe Kubert zu imitieren. Leider hält er diese Anknüpfung nicht konsequent durch.
– S. 214: Diese Waffe ist ein deutsches Fabrikat, oder? Mauser oder Luger. Das gibt dem ganzen Nachkriegsszenario eine zusätzlich heikle Komponente, zumal ja auch schon der deutsche “Faust” bereits erwähnt wurde.
– S. 218/9: Hier ist diesmal Tiziano Sclavi ein Fehler unterlaufen: Britische “Bobbies” tragen traditionell keine Schusswaffen, nur Schlagstöcke. Dadurch unterscheiden sie sich z. B. von amerikanischen “Cops”.
– S. 224: Bemerkenswert, wieviel Zeit sich diese Geschichte lässt. Die ersten 17 Seiten spielen Im London von 1945, und auch auf den folgenden Seiten kehren wir wieder dorthin zurück.
– S. 231 und 232: Da ist sie wieder, die Armee der Melonenträger im London der späten 80er. Eigentlich ein Fall für Dylan Dog, wo die alle außerhalb ihrer eigentlichen Epoche noch herkommen.
– S. 231, Bild 5: Und da ist sie ebenfalls wieder, die unendliche Diskussion über Grouchos Schnauzbart. Eigentlich müsste er sagen: “…weil ich mir ‘nen falschen über den echten gemalt hab.”
– S. 238, letztes Bild: Eine ungewöhnliche Statuette für die Archive von Scotland Yard…
– S. 244 bis 248: Das freie Delirieren dieser Monster-und-Höllenfall-Szene ist interessant (Sclavi wird später noch ganze Folgen konstruieren, die sich in einem Zwischenreich aus Traum und Wachen zu bewegen scheinen), aber zeichnerisch ist sie nicht besonders beeindruckend aufgelöst. Trigo signiert die Seite 248, als wäre er ganz besonders stolz auf sie, aber da hat es in den europäischen Erwachsenencomics der 70er- und frühen 80er-Jahre Psychedelisches gegeben, das deutlich virtuoser war.
– S. 256: Grouchos Schnauzer schon wieder. Ich vermute ja, er ist eher für das Tragen eines vorgetäuschten Schnauzers belangt worden. Und Abschneiden geht schon mal gar nicht.
– Um S. 260 herum: Die Geschichte wird immer bizarrer: In einer Umkehrung von Hitchcocks “Psycho” lebt hier eine Mutter mit ihrem längst verstorbenen Sohn zusammen.
– S. 260: Eines Martial-Arts-Films würdig: Wie die Mutter das bereits fallende Messer aus der Luft schnappt und in derselben Bewegung gleich damit zusticht.
– S. 264: Paul Williams war übrigens auf dem letzten Album von Daft Punk zu hören, er scheint genauso ewigwährend aktiv zu sein wie Larry Varedo in dieser Geschichte.
– ebenfalls S. 264: In den letzten beiden Bildern wird eine sehr interessante Motivation Dylans geschildert, die Fox Mulders berühmtes Credo “I want to believe” aus “Akte X” bereits vorwegnimmt. Ich finde sehr faszinierend, dass Dylan melancholisch wird, wenn ein Fall sich gelöst hat.
– S. 265: Der Killer, der eine Kanone reparieren kann. Auch ein hübsches Detail.
– Die Geschichte verblüfft durch Haken und Wendungen. Auf S. 272 dachte ich schon, die Mutter sei vielleicht die fett und alt gewordene Mala. Aber dann hätte Clarence eine Affäre mit seiner eigenen Mutter gehabt. Was aber wiederum erklären würde, weshalb sie ihn auch nach seinem Tod noch so verhätschelt.
– S. 275: Hier zerstreut sich dieser Verdacht. Mala will Clarence ihr Haus und ihren “Arbeitsplatz” zeigen. Ist sie ein Engel? Oder ein Teufel? Die Adresse lässt beides zu. (Tätsächlich wohnt sie ganz oben und arbeitet ganz unten, wie wir auf S. 289 erfahren).
– Die Szene auf den Seiten 277 bis 279, in der der tote Sohn mit der Mutter spricht, lässt jegliche Trash-Haftigkeit herkömmlicher Horrorcomics weit hinter sich. Hier wird etwas Übernatürliches als Metapher für etwas Unausgesprochenes und Verdrängtes benutzt, und das ist sehr, sehr anspruchsvoll.
– S. 281: Die Namen sind diesmal nicht Namen von Musikern, sondern von Schriftstellern, wobei “Egad” und “Smithson” keine sind, und “Behemoth” auch nicht einer der Namen des Teufels ist (Sclavi verwechselt hier “Behemoth” wahrscheinlich mit “Beelzebub”), sondern der eines mythologischen Land-Ungeheuers, dem Gegenstück zum Meeresungeheuer Leviathan.
– S. 287, letztes Bild: Ich will jetzt mal nicht behaupten, dass der Zeichner vollkommen überfordert ist mit der Darstellung auch nur einigermaßen realistisch aussehender Tiere. Auf den nächsten Seiten wird es ja deutlich besser (besonders der Auerochse auf S. 296 ist gelungen). Ich glaube, die Absurdität dieser Tierfratzen ist Absicht, es ist noch dunkel, und Dylan sieht nur seltsame Schemen.
– S. 295, zweites Bild: Dieses Bild diente dem Coverzeichner dieser Sammleredition, Bruno Brindisi, als Inspiration, wobei seine abstoßend-sexy Huf-Schuhe eine tolle zusätzliche Idee sind.
– Die Auflösung (ACHTUNG SPOILER), dass…
Mala aus einer Hölle kommt, die sich kaum von unserer Welt unterscheidet, und dass Varedo die ganze Zeit nur ein Geist war, ist typisch Sclavi. Alles ist irgendwie übernatürlich, zugleich aber auch entzaubert/heruntergebrochen und kaum der Rede wert. Interessant wäre zu sehen, ob Sclavi das Etablieren dieser “anderen Dimension” aufrecht erhält, und ob Dylan Mala und Varedo tatsächlich einmal einen Besuch abstatten wird. Unvorstellbar ist das ja nicht.
Fazit: Eine ziemlich schlapp gezeichnete, aber sehr inspiriert geschriebene Episode, mit Höhepunkten im verwickelten Mittelteil. Das Ende löst sich sehr in Wohlgefallen auf, aber das ist ja auch mal etwas anderes, zum Beispiel auch nach den sehr blutigen Finales der beiden anderen Episoden in diesem Band.
Nachträglich ist mir noch aufgefallen, dass “Die Schönheit des Dämons” bislang tatsächlich die einzige unblutige Dylan-Dog-Episode ist. Selbst das Blut auf Malas Leichenfoto ist nicht echt, und die einzige krasse Szene auf den Seiten 243/4 ist eher mit Ektoplasma-Emanationen als mit echtem Blut dargestellt.