Die Mordenden
Originaltitel: Gli uccisori, ursprünglich erschienen 1987, Italien
Autor: Tiziano Sclavi
Zeichner: Luca dell’Uomo
Beobachtungen von Tobias O. Meißner
Jetzt beginnt eine ganze Reihe von Episoden, die in Deutschland bislang noch nicht erhältlich waren. Darüber freue ich mich natürlich besonders und bin besonders gespannt.
– S. 109 -111: Der ungerührte Horror einer Schlachterei – sehr gelungener Einstieg.
– S. 117, letztes Bild: Die Maske sieht definitiv weder afrikanisch noch australisch aus. Der Unterkiefer könnte afrikanisch sein, der Fledermausumriss ist eher amerikanisches Halloween, und die obere Gesichtspartie erinnert mich an Tiny-Toons-Cartoons. Interessanter Gesamteffekt jedoch.
– S 118: Professor Wells ist eine tolle Figur, die Doppelseite 118/9 auch besonders liebevoll gezeichnet. Dem echten H. G. Wells sieht dieser H. G. Wells gar nicht ähnlich, aber gerade dadurch, dass er nur im Unterhemd herumläuft, wirkt er besonders spleenig. (Dass auch Dylan hier mal ohne sein schwarzes Jackett zu sehen ist, macht diese Hitzewellenepisode zu etwas Besonderem.)
Über H. G. Wells hat der große Jorge Luis Borges übrigens 1941 geschrieben: “Kaum zu glauben, aber Wells ist kein Nazi. Kaum zu glauben deshalb, weil fast alle meine Zeitgenossen Nazis sind, auch wenn sie es leugen oder ignorieren.” Mit “Nazi” meinte Borges überspitzt Menschen, die einem ungesund übersteigertem Nationalismus anhängen. Wells dagegen war ein zu großer Skeptiker, um jemals in Hurra-Geschrei ausbrechen zu können.
– Auf S. 119 und auf der Doppelseite 140/1 kann man deutlich sehen, dass dieser (exzellente) Zeichner weiß, dass Grouchos Schnurrbart nur schwarze Farbe ist.
– S. 126: Von hier ab ist in der gesamten Episode immer wieder vom “Vorsteher” Scotland Yards die Rede. Ist damit der Commissioner gemeint, der den Yard leitet, oder einer seiner untergeordneten Commanders oder Superintendents? Der Begriff “Vorsteher” scheint mir im Zusammenhang mit einem Polizeiapparat eher unüblich zu sein. Kann aber natürlich sein, dass Dylan & Co. ihn “unter der Hand” so nennen …
– S. 130: Jeremy Todd soll wohl einen hellen Schnurrbart haben. Der Colorist hat diesen jedoch nie ausgemalt, sodass eine merkwürdig fransige Oberlippe entsteht.
– S. 140: In Dylans Bücherschrank befinden sich seltsame Bücher namens “Aurora Consurg” (eigentlich “Aurora Consurgens”, ein alchemistischer Text aus dem 15. Jahrhundert), “Mutus Liber” (das “Stumme Buch” aus dem 17. Jahrhundert, ebenfalls alchemistisch) und ein mir nicht näher bekanntes Werk namens “Fuck you!”
– S. 142 unten: das selbe Bild wie S. 146 mitte, nur Vorher-Nachher: man sieht, was aus dieser gruseligen Ratte geworden ist. Die Katze ist übrigens schon auf S. 122 bei der Jagd zu sehen.
– Dass auf S. 148 ein kleiner Junge erschossen wird (sogar schon der zweite in dieser Episode, der erste auf S. 113 wird aber nicht im Bild gezeigt) ist außergewöhnlich krass. Sterbende Minderjährige sind oftmals immer noch ein Tabu (und wahrscheinlich der einzige Grund, warum der von den “Tributen von Panem” dreist kopierte Film “Battle Royale” nach wie vor nicht regulär erhältlich ist.)
– S. 151 und S. 159 ff. und S. 164: Auch in dieser Episode wimmelt es wieder von Melonenträgern, aber in der Szene auf dem Piccadilly Circus wird dieses Klischee immerhin als solches angesprochen.
– Die Sightseeing-Bilder auf S. 156 und 158 sind von beinahe fotorealistischer Genauigkeit.
– S. 158: Und hier haben wir den Regisseur Dario Argento persönlich, im mittleren Bild der unteren Reihe! (Kurz darauf kommt eine Szene mit einem gefährlichen Hund auf einem öffentlichen Platz, wie es sie auch – nur ungleich übernatürlicher – in Argentos “Suspiria” gibt.)
– S. 171 erstes Bild: Dieser Colorist hat etwas gegen das Ausmalen von Oberlippenbärten …
– S. 174, mittlere Reihe: der Mann links und die Dame rechts erinnern sehr an Prince Charles und Lady Diana. Sie sollen ja auch die britische High Society darstellen.
– S. 177: Ab hier nimmt das Geschehen die Ausmaße eines Zombie-Filmes an, wenngleich mit noch deutlicher akzentuiertem Klassenkampf-Aspekt. Auf S. 179 unten herrscht dann endgültig Endzeitstimmung.
– S. 179: Was passiert hier eigentlich? Die Szene mit dem Schaufenster erinnert natürlich an Terry Gilliams “Brazil” aus dem Jahre 1985 (damals ziemlich taufrisch). Wenn ich das richtig sehe, explodiert zuerst der Fernseher, dann ist tatsächlich die verkohlte Babyleiche zu sehen, die aber ein Geräusch von sich gibt, um dann ebenfalls zu explodieren. Die Medien und der Nachwuchs: alles nur Zeitbomben?
– S. 180, Bild 5: Hier haben wir wieder das Thema mit dem Schnauzer. Eigentlich könnte Groucho hier kontern: “Ich habe ebenfalls keinen.”
– Diese Episode besticht durch sorgfältig choreographierte Actionszenen. Erst eine sechsseitige Autoverfolgungsjagd, jetzt der sogar sieben Seiten lange Kampf um das Ruderboot vor dem imposanten Hintergrund eines brennenden Londons.
– S. 195: So, so, hier wird das “Mutus Liber” ja noch wichtig, und da sich das Buch in Dylans Bücherschrank befindet, fällt ihm in Denkerpose auch ein, um welche Art von Buch es sich handelt.
– S. 199: Aha, die Rückkehr von Doktor Xabaras! (Ohne dass er jemals im Bild zu sehen ist.)
– S. 203, drittes Bild: Die Namen auf den Briefumschlägen sind alles Namen von Musikern: Tom Waits, Van Morrison, Ry Cooder, John Fogerty und J. J. Cale. Im nächsten Bild dann noch (falsch geschrieben) Keith Richards.
– Dylan Dogs Vergeltung am Ende ist außergewöhnlich blutrünstig. Genau genommen initiiert er einen elffachen Mord. Auch wenn es die Richtigen trifft, normalerweise ist Dylan nicht so alttestamentarisch veranlagt.
Alles in allem aber wieder eine sehr starke Episode, in der Hitzewellenhysterie, britischer Bürgergroll und alchemistische Überhöhung sich zu einem schier apokalyptischen Spektakulum verschränken.
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