Vollmondnächte
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Originaltitel: Le notti della luna piena, ursprünglich erschienen 1986, Italien
Autor: Tiziano Sclavi
Zeichner: Montanari & Grassani

Beobachtungen von Tobias O. Meißner

Auch hier finde ich den Zeichenstil eher schwach, einige Seiten wirken arg hingeschludert, z. B. 269 und 274.

Das Setting ist allerdings sehr interessant. Argentos “Suspiria” klingt natürlich an, dort eine Ballettschule in München, hier ein Mädcheninternat im Schwarzwald, aus beiden verschwinden/sterben Mädchen, beide Schulen werden geleitet von zwei ältlichen Damen, die sich unerklärlicherweise einen monströsen Hausdiener leisten.

Die “Schwarzwald”-Atmosphäre hier in “Vollmondnächte” ist sehr unwirklich, die Deutschen tragen alle altmodische Kostüme, wie man sie aus den Universal-Horrorfilmen der 30er mit ihren von einem “Burgomaster” geleiteten Dörfern kennt. Auch Schuluniformen gibt es in Deutschland ja gar nicht. Interessant ist aber, dass man als Leser mehrmals Anklänge an Grimmsche Märchen zu sehen vermeint, z. B. auf S. 245 “Rotkäppchen” und auf S. 249 “König Drosselbart”, aber das bildet man sich wahrscheinlich nur ein, das liegt an der durchaus phantasieanregenden Grundstimmung.

Noch ein paar Details:
– S. 226: Nett, wie ausnahmslos alle Schülerinnen sehr schön sind. Die guten, alten Mädchenpensionatsklischees …

– S. 232: Hier finde ich den Look des Ortes sehr gelungen. Ob Sclavi überhaupt wusste, dass es in Deutschland tatsächlich ein “Wolfsburg” gibt, das aber natürlich nicht im Schwarzwald liegt und das genaue Gegenteil von mittelalterlich-stimmungsvoll ist?

– S. 236: Dass der Wirt auf Dylan und Groucho schießt, ergibt genau genommen keinen Sinn, denn erstens sind die “Fremden” ja immer nackt und zweitens immer einzeln, also ist es geradezu hirnrissig, auf zwei bekleidete Reisende zu schießen, die mit einem Koffer daherkommen.

– S. 244: Hier finde ich bei der Kamerafahrt aus dem Haus die Betonung des Kruzifix’ im zweiten Bild interessant.

– Auf S. 257 habe ich mich gefragt, wem Kommissar Dürrenmatt ähnlich sehen soll. Jedenfalls nicht dem echten Dürrenmatt. Aber Heinz Rühmann oder Gert Fröbe aus der Dürrenmatt-Verfilmung “Es geschah am hellichten Tag” (auf die auf S. 242 Bezug genommen wird, als es heißt, die Verbrechen wurden einem Landstreicher angelastet) ist das auch nicht.

– Auf S. 264 kann man im dritten Bild mal sehen, wie Dylan Dog so etwa mit 50 aussehen wird: mit zurückgewichenem Haaransatz…

– S. 272: Über das Thema von Wolfswesen, die unter den Menschen leben wollen, gibt es seit 2012 übrigens einen toll gemachten Anime-Spielfilm: “Ame und Yuki – Die Wolfskinder”.

– Auf S. 277 finde ich die feststehende “Kameraeinstellung” sehr gut konzipiert: mehrere Dinge geschehen gleichzeitig und bleiben alle im Bild.

– Ein sehr schönes Detail ist der von S. 282 an überklebte kaputte Frontscheinwerfer von Dylans Käfer, der bereits auf S. 265 zerstört wurde, was auf den Seiten danach durch das fehlende Licht von den Coloristen vorbildlich beachtet wurde.

– Die S. 295 ist wieder “Suspiria” pur, der Film endet mit genau so einer Flucht aus dem sich zerstörenden Gebäude.

– S. 296 finde ich großartig. Das Zerplatzen sämtlicher Dinge wie sämtlicher Träume…

– Und ganz am Ende gibt es noch einen Clou, der Italienern besonders viel sagen wird, denn schließlich wurden Romulus und Remus, die mythischen Gründer der Stadt Rom, als Kinder von einer Wölfin gesäugt.

Insgesamt finde ich die Geschichte dieser dritten Episode sehr außergewöhnlich: Das Handlungsmotiv ist Sex! Das Mädcheninternat ist zu keinem anderen Zweck ins Leben gerufen worden, als Gespielinnen für die Mannwölfe bereitzustellen, Gespielinnen und dann darüber hinausgehend auch Gebärerinnen. Das ist ganz schön krass, wird hier aber sehr geschmackvoll, durch die Eingangssequenz sogar geradezu romantisierend geschildert. Dass die Leiterinnen dieses ganzen Spuks zwei ältliche Frauen sind, gibt ihm noch eine zusätzliche interessante Vielschichtigkeit. Sehr gute Geschichte, leider lässt die zeichnerische Umsetzung einiges zu wünschen übrig. Aber auch das ist ja spannend an “Dylan Dog”, dass die Zeichner ständig wechseln und dadurch die bildliche Qualität unvorhersagbar schwankt.

(Und an dieser Stelle nochmals ein riesiges DANKE an Tobias Meißner, für seine Beiträge, seine Zeit und seine Comic-Leidenschaft und Fan-erie für Dylan Dog! Monja Reichert)