Morgendämmerung der Untoten
Originaltitel: L’alba dei morti viventi, ursprünglich erschienen 1986, Italien
Autor: Tiziano Sclavi
Zeichner: Angelo Stano
Beobachtungen von Tobias O. Meißner
– S. 11: Als Leser der schwarzweißen deutschen Ausgaben waren die Farben für mich eine durchaus angenehme Überraschung. Ich finde die zurückhaltende Farbpalette sehr gelungen, allein das Haus auf dieser Seite sieht schon einmal sehr schön aus. Schwierig sind sicherlich immer London-Ansichten wie auf S. 18, aber auch hier ist alles stimmig, die Doppeldecker sind rot, die Taxis schwarz. Das ist keine hastig zusammengekleisterte Kolorierung, sondern hat echtes Graphic-Novel-Niveau.
– S. 13 unten: Interessant, wie von dem Zombie ein Schatten ausgeht, der als typischer Farbpinselstrich über das Bein der Frau streicht.
– S. 18: Die Beschriftung des Taxis ist lustig. Service für Paparazzis.
– S. 21, letztes Bild und S. 22, drittes Bild: Zwei Original-Wasserspeier von Notre Dame de Paris, entnommen sicherlich einer der vielen Glöckner-Verfilmungen.
– S. 26: Dass John ausgerechnet durch einen Schulterbiss infiziert wurde, ist ein direkter Verweis zu “Dawn of the Dead”, wo der erste Zombie-Gewaltakt ebenfalls ein schockierender Schulterbiss ist (siehe S. 36, erstes Bild, wo die entsprechende Filmszene in leicht verfremdeter Form zu sehen ist).
– S. 27: Das Gesicht des Toten erinnert noch mehr an den Stil Egon Schieles als Angelo Stanos Zeichungen ohnehin schon.
– S. 37: Ein kurioses Double-Feature, wo zuerst der zweite, dann der erste Film einer Reihe gezeigt wird.
– S. 43: Hier haben wir das Phänomen, dass die Kolorierung eine Information enthält, die in der schwarz-weißen Fassung nicht vorhanden war: Im ersten Bild ist der Körper des gerade getöteten Pathologen bereits zombieblassgrün verfärbt. Man erwartet also, dass er gleich wieder aufsteht – und voilá, auf der nächsten Seite ist es soweit. Die Colorierung war also korrekt, zerstört aber ein bisschen den Überraschungseffekt (nur wenn man ein so unglaublicher Beobachter ist wie du, Tobias! Sprachlose Anmerkung der Übersetzerin!).
– Apropos “Zombieblassgrün”: Diese Farbwahl ist sehr hübsch durchdacht, denn genau so hat Tom Savini die Untoten in “Dawn of the Dead” geschminkt. Sie sahen wie unverweste Leute mit hellgrüner Schminke aus. Das ist also quasi authentisch.
– S. 48, erstes Bild: Hier irrt die Zeitungsmeldung. Genau genommen sind nicht vier, sondern fünf Leichen verbrannt: drei Tote, die herumliefen, plus John, der auf seiner Pritsche liegenblieb, plus der Pathologe. Ergibt fünf.
– S. 50: Ich mag Xabaras’ Physiognomie sehr. Sie ist sehr eindrücklich, erinnert mich aber an niemanden, den ich je in einem Film oder anderswo gesehen habe. (Im Gegensatz zu Dylan und Groucho, die ja “entlehnt” und dadurch geläufiger sind.)
– S. 57/8: Die Szene, wo die drei auf Fahrrädern nach Undead fahren, ist sehr einzigartig und verblüffend und erinnert irgendwie an eine Jugendgeschichte á là “Die drei ???” oder “Point Whitmark” als an einen Thriller mit erwachsenen Protagonisten.
– S. 63: Das Gerät links in der Labor-Ansicht sieht wie ein typisches funkensprühendes Requisit aus einem klassischen “Frankenstein”-Film aus.
– S. 67: “Nekromaten” heißen eigentlich “Nekromanten”, und “Vodoo” schreibt man “Voodoo”, aber “Baron Samedi” ist richtig. (Asche auf mein Haupt, Anmerkung der Übersetzerin)
– S. 73: Das mittlere Bild ist grafisch der Höhepunkt der gesamten Episode.
– S. 91: Die Art, wie Sybil in die Tiefe springt, ist geradezu selbstmörderisch. Anstatt sich erst am ausgestreckten Arm runterzulassen… noch dazu auf hohen Absätzen … Wahnsinn! (Aber dem Zeichner ging es wohl vor allem um den Panty Shot.)
– S. 92/3: Interessanterweise sind solche Grabwühler-Szenen in den Filmen von George A. Romero meines Wissens nicht zu finden, auch wenn der erste auf einem Friedhof beginnt. Sehr viel den Gräbern entstiegen wird dagegen in den “Reitende Leichen”-Filmen von Armando Ossorio. (also ich finde die Beobachtungen schon rekordverdächtig… gibt’s auch Oscars für Comic-Leser?!? Anmerkung der Übersetzerin)
– S. 94: Hier fängt Xabaras an, etwas unsouverän zu wirken. Auf S. 71 wollte er Dylan noch von einem Zombie töten lassen, jetzt auf S. 94 rettet er die drei, um mit ihnen zu experimentieren. Auf S. 99 jedoch schreit er wieder: “Tötet sie!” Er weiß einfach nicht, was er will, der Doktor. Das hat er natürlich mit vielen Filmbösewichten gemeinsam, die den Helden erst umständlichst gefangennehmen, um ihm dann durch einen zugedachten “langsamen Tod” Gelegenheit zur Flucht zu geben.
– S. 105: Schulterbiss zum Dritten.
– Das Ende dieser Episode ist etwas misslungen. Genau genommen funktioniert die Geschichte nur bis zur S. 93, dort hat Sclavi sich dann an einen “Point of no Return” manövriert. Ab da wird dann alles ein wenig albern. Xabaras rettet die drei, weil sonst niemand mehr da ist, der sie retten könnte. Er will ausgerechnet mit ihnen experimentieren, als ob er nicht genügend andere, weniger unbequeme Versuchsobjekte besäße. Er bewilligt Dylan seinen letzten Wunsch (Warum?) In Dylans Koffer befindet sich plötzlich eine Bombe, als wäre er James Bond. Das ist ganz untypisch für ihn. Die Zombies verhalten sich plötzlich nicht mehr wie Zombies, sondern ignorieren ihre Opfer. (Warum? Waren sie vorher alle hypnotisiert?) Xabaras schreit als “Geist” eine Drohung. Zum Schluss muss eine Traumsequenz her, um nochmal Spannung zu erzeugen.
Tiziano Sclavi hat hier noch nicht ganz zu seiner Form gefunden, das virtuose Schwebenlassen im Absurden späterer Dylan-Dog-Episoden wirkt hier noch etwas zappelig und unelegant. Womöglich der Grund, weshalb die erste deutsche Ausgabe von “Dylan Dog” nicht mit Episode 1, sondern der ungleich virtuoseren Episode 56 begann. (Nein, das war nicht der Grund, aber der Zug ist eh abgefahren Anmerkung der Übersetzerin)
Dennoch finde ich eine Gesamtauflage in chronologischer Reihenfolge schöner, mutiger und wichtiger. Man kann dann nämlich auch sehen, wie die Serie sich steigert und immer selbstbewusster wird.
Den Alptraum am Ende finde ich übrigens deshalb sehr witzig, weil das Alptraumhafte daran nicht Dylans Verwandlung in einen Zombie ist, sondern die Vorstellung, für immer mit einer einzigen Frau zusammenbleiben zu müssen.
Bemerkenswert ist auch noch, dass die umfangreichste und langlebigste deutsche Horror-Serie “John Sinclair” ebenfalls in Band 1 (“Die Nacht des Hexers”) mit einer von einem Schwarzmagier in Schottland geleiteten Zombie-Invasion startete, inklusive einem Verschanzen der Hauptfiguren in einem von Untoten überrannten Haus, ebenfalls mit einem Helden, der in London lebt und mit Scotland Yard verbandelt ist. Das war 1973, satte 13 Jahre vor “Dylan Dog”. Aber ich bin sicher, dass das nur ein Zufall ist, Tiziano Sclavi hat gewiss niemals “John Sinclair” gelesen, das wahrscheinlich nie ins Italienische übersetzt wurde.
(Ist euch auch die Kinnlade runtergeklappt??? Frage der Übersetzerin)
Gute Beobachtungen!
Als Dylan Dog und Zombie Fan (Romero, Resident Evil Spiele, The Walking Dead…) mag ich diese Episode, obwohl es sehr viel bessere gibt! Und das Thema Zombies ist heute mehr als beliebt, so hoffe ich kann dieses Band davon profitieren!?
Kolorierung ist gut aber ich mag schwarz weiß mehr (sehe auch die The Walking Dead Comics mit Graustufen, geil!).
Format und Aufmachung, edel und Hochwertig aber für mich doch etwas sperrig (lese immer im liegen!).
Super! Endlich ist DD wieder da…ich war schon kurz davor Italienisch zu lernen (naja, kann trotzdem nicht schaden…).
Bei dieser Story merkt man allerdings daß die Serie wirklich eine Entwicklung durchgemacht hat – für heutige Verhältnisse nicht soooo toll, da sind mir “Morgana” und “Geschichte eines Niemand” deutlich lieber.
Ich habe leider noch keinen Libelius-Band erwerben können, aber die Leseproben sehen recht interessant aus.
Ich gebe zu daß ich auch eher ein s/w fan bin und nicht glaube daß das Scheitern der Serie in Deutschland an den fehlenden Farben gelegen hat, aber wenn DD sich in Farbe besser verkaufen sollte & endlich seine Nische in Deutschland findet will ich voller Freude schweigen & dankbar sein daß DD endlich auch in Deutschland angekommen ist.