Manchmal können auch die Träume von erwachsenen Kindern noch wahr werden: Eine deutsche Gesamtausgabe der ersten 150 Dylan Dog Episoden – ungekürzt und in chronologischer Abfolge – als hochwertige Hardcover Edition in Farbe! Ermöglich werden soll das durch den hierzulande eher noch unbekannten kroatischen Verlag Libellus, der auch in seiner Heimat seit langem Dylan Dog und andere Bonelli-Serien wie Zagor oder Nathan Never im Programm hat. Ein deutscher Internetauftritt von Dylan Dog, dem „Jäger des Grauens“, ist derzeit in Arbeit: www.dylandog.de. Treibende Kraft hinter dem gesamten Projekt ist der Verleger Damir Raic, ein enthusiastischer Comic-Freund, der zudem sehr gut Deutsch spricht. Zwar ist es noch nicht ganz so weit, immerhin aber liegen hiermit die ersten drei legendären Abenteuer von Dylan und seinen beiden ständigen Begleitern – dem immer gut aufgelegten Assistenten und „Nervtöter“ Groucho und dem immer um seine Pension besorgten, väterlichen Inspektor Bloch – in diesem ersten Band der Gesamtausgabe vor.

Der geniale italienische Autor und Künstler Tiziano Sclavi ist der Schöpfer des oftmals melancholischen und später überzeugten Anti-Alkoholikers Dylan Dog, dessen Abenteuer eine ganz besondere, fast magische Anziehungskraft ausüben können. Es ist zwar nicht so, dass man ihr unbedingt erliegen muss, ist dies aber einmal geschehen, kommt man schwer wieder los.Wasgenaudiesen besonderen Charme ausmacht, ist schwer in Worte zu fassen. Eigentlich sind es ja „nur“ Geschichten mit zumeist bekannten Horror- und auch Science Fiction-Elementen, seien es Zombies (eine Vorliebe Sclavis), Schlossgeister, Werwölfe oder Aliens. Für mich persönlich kommt das Besondere an Dylan Dog letztlich aus einer einzigartigen und unnachahmlichen Mischung diverser „Zutaten“: Zuerst innovativ-überraschende bis skurrile Horrorelemente zu oft völlig unerwarteten Gelegenheiten an ganz alltäglichen Orten, wobei der Horror auch manchmal durchaus Richtung Splatter abgleiten kann. Eingebettet wird der Schrecken in eine zunächst meist geradlinig beginnende Handlung, die dann aber in der Regel völlig unerwartete (und nicht immer unbedingt logische) Wendungen nimmt und teilweise völlig ins Absurde abgleiten kann, um dann gegen Ende der Episode doch wieder auf einen überraschenden Schlusspunkt zuzulaufen. Dazu gesellen sich dann noch Spannung, Unterhaltung, Ironie, Melancholie, Romantik sowie eine nicht unerheblichen Prise Erotik. Und letztlich wird das Ganze untersetzt mit dem aberwitzigen Humor Grouchos, der einen nicht selten am eigenen Verstand zweifeln lässt, ein Beispiel: „Wissen Sie, ich hätte beinahe eine Hellseherin geheiratet. Aber dann hat Sie mich verlassen, bevor wir uns kennenlernten…“. Auch manche ständig wiederkehrenden Rituale dürften zur Sympathie für Dylan beitragen: Er trägt immer dieselbe Kleidung, die seinen Kleiderschrank in vielfacher Ausführung füllt, zum Nachdenken spielt er Klarinette oder baut an seinem Modellschiff und er ist in jeder Episode auf´s Neue ein hoffnungsloser Romantiker und verfällt der jeweiligen Schönen im Flug. Überhaupt ist der in London lebende Dylan Dog ein sehr menschlicher, keineswegs unfehlbarer, eher altmodischer und oft gefühlsbetonter „Jäger des Grauens“, was einen weiteren sympathischen Kontrast darstellt.

Gerade die oft völlig unvorhersehbaren Handlungsverläufe machen es bisweilen etwas schwer, eine kurze und dennoch verständliche Inhaltsangabe einer Episode wiederzugeben, einen Versuch allerdings ist es wert. Vorher aber noch ein paar Worte zur zeichnerischen Umsetzung von Dylan Dog, die mehreren, oftmals wechselnden Künstlern anvertraut wurde, alleine für diese ersten drei Episoden sind vier verschiedenen Zeichner verantwortlich. Dennoch fallen in der Gesamtheit dieses ersten Bandes keine allzu großen künstlerischen Unterschiede auf, irgendwie „mitteln“ sich auf recht angenehme und sympathische Weise die verschiedenen Eigenarten, mal mehr mal weniger eckig, mal mehr mal weniger intensiv und so weiter zu einem relativ einheitlichen Gesamterscheinungsbild aus: Überwiegend realistische, detailreiche, aber teilweise auch etwas karikaturartig angehauchte Zeichnungen, darunter auch explizite und regelrecht extreme Darstellungen. Eine Tatsache, die auch nach der Lektüre aller 62 bisher auf Deutsch erschienen Dylan Dog Episoden, größtenteils Bestand hat.

Eingestimmtwird der Leser dieses ersten Bandes durch die den drei Episoden vorangestellte „Akte Dylan Dog, Aktenzeichen DD I/ 1-3“ von Michael Bregel, die viele unterhaltsame und interessante Fakten zur Serie und ihren Schöpfern enthält. Nun aber noch zu den drei vorliegenden Sclavi-Geschichten im Detail: In der ersten Episode mit dem klassisch anmutenden Titel „Morgendämmerung der Untoten“ („Dawn of the Dead“), die, um ehrlich zu sein auch ein klein wenig an „Re-Animator“ erinnert, lässt ein heimtückischer Virus die Toten wieder in ein gefühlloses, stumpfsinniges Leben zurückkehren. Verantwortlich dafür ist der größenwahnsinnige, in dem Örtchen „Undead“ lebende Wissenschaftler Abraxas, der aus nur ihm verständlichen Gründen eine unsterbliche menschliche Rasse erschaffen will. Dylan Dog und seine Begleiter haben wirklich alle Hände voll zu tun, um das Schlimmste zu verhindern und, soviel sei an dieser Stelle verraten, es war nicht das letzte Aufeinandertreffen von Abraxas und Dylan.

In der zweiten Erzählung setzt der in einer Sèance heraufbeschworene Geist von „Jack the Ripper“ sein grausames Werk im heutigen London fort, die Polizei ist ratlos. Der von der Tochter eines Mordopfers engagierte Dylan Dog hat ebenfalls erhebliche Probleme, machen unserem „Jäger des Grauens“ und seinem Assistenten doch neben „Jack the Ripper“ auch noch die hyperaktive Nachtwächterin eines Wachsfiguren-Kabinetts, ein leicht verkalktes Renter-Paar, zum Leben erwachte Wachsfiguren und weitere paranormale Vorgänge das Leben recht schwer…die Geschehnisse diese Episode lassen sich wirklich nicht mit ein paar wenigen Worten verständlich wiedergeben.

Die letzte Episode „Vollmondnächte“ spielt, was wegen der Flugangst von Dylan recht selten vorkommt, weit weg von London, im deutschen Schwarzwald, wo Dylan und Groucho das mysteriöse Verschwinden einer Schülerin eines etwas abseits gelegenen Mädchen-Internats aufklären sollen. Dabei geraten die Beiden mit schießwütigen Dorfbewohnern, unheimlichen, schweigenden, aber telepathisch veranlagten „Fremden“ und riesigen Wölfen aneinander. Die letztliche Erklärung für diesen Spuk ist ebenso überraschend wie faszinierend, typisch eben Dylan Dog.

Abschließend noch mehrere positive und auch ein paar ganz wenige kritische Bemerkung zu diesem ersten Band der Dylan Dog Gesamtausgabe von Libellus: An der grandiosen „gewichtigen“ Hard-CoverAufmachung sowie dem Farbdruck auf hochwertigem Papier lässt sich nun wirklich nichts aussetzen, der Preis ist dementsprechend gerechtfertigt. Auch die strenge Chronologie ist ein absoluter Pluspunkt, das Ende der chaotischen Veröffentlichungen bei Carlsen und Schwarzer Klecks ist ja hinlänglich bekannt. Die leichte Vergrößerung des ursprünglichen Formates fällt nicht weiter negativ auf, hätte vielleicht aber nicht unbedingt sein müssen. Ob Farbe und Chronologie aber wirklich endlich zum Durchbruch von Dylan in Deutschland führen können, werden letztlich natürlich nur die deutschen Comic-Freunde entscheiden können. Ich persönlich hoffe natürlich auf einen durchschlagenden Erfolg für die bislang geplanten 150 ersten Episoden und danach auf weitere 150 Dylan Dog Geschichten, die in Italien bereits heute schon verfügbar wären. In dem Sinne: „Tod und Teufel“!

Aus: www.dvd-fan.net