Killer!
Originaltitel:Killer!, ursprünglich erschienen 1987, Italien
Autor: Tiziano Sclavi
Zeichner: Giuseppe Montanari & Ernesto Grassani
Beobachtungen von Tobias O. Meißner
– S. 209: Es herrscht ein geradezu surrealistischer Autoverkehr auf diesem Piccadilly Circus. Wo fährt der linke rote Bus hin? In den Laden von H. Samuel hinein? Und wo ist das blaue Auto hergekommen und wo will es hin? Von gepflegtem Kreisverkehr oder auch nur britischem Linksverkehr keine Spur.
– Ebenfalls auf dieser Seite: ein wildes Gemisch britischer Stereotypen. Da ist wieder ein Melonenmann (nur der erste von sehr vielen in dieser Episode), da sitzt ein Andy-Capp-(zu deutsch: Willi Wacker)-Arbeiter mit seiner grünen Schiebermütze im Bus, und eine Art Gouvernante aus dem 19. Jahrhundert vor ihm.
– S. 210: Das ist doch…? Das soll doch … Arnold Schwarzenegger sein?! Als “Terminator”. War damals gerade mal drei Jahre frisch, der Film, den zweiten Teil gab es noch nicht. Schade, dass diese Episode wieder von Montanari & Grassani gezeichnet wurde, die beiden sind meiner Meinung nach die schwächsten der bisherigen Zeichner. Das ist nun schon die dritte Episode, die sie verzapfen. Auch Dylan sieht bei ihnen immer ziemlich unvorteilhaft aus. (siehe z. B. S. 232)
– Ich frage mich immer, ob Tiziano Sclavi nicht eigentlich auch ein Fan der britischen Fernsehserie “The Avengers”/”Mit Schirm, Charme und Melone” sein müsste. Deren übernatürlich wildwucherndes England ähnelt dem von Dylan Dog durchaus. Und der gesamte Auftakt dieser Episode ähnelt dem Beginn der Avengers-Folge “Die Roboter” (“The Cybernauts”), in dem eine geheimnisvolle, unaufhaltsame Gestalt in ein Büro eindringt, dort selbst Türen durchschlägt und den Büroleiter umbringt.
– Die Geräusche in dieser Sequenz sind bemerkenswert: Das Telefon wie auch die Alarmanlage machen jazzy “Beee-bop!”, während die Waffe des Terminators immer “Sbrang” macht, was klingt, als ob ein Federmechanismus ausgelöst würde (und auf S. 242 wird dann tatsächlich erläutert, dass es sich um eine altertümliche Waffe handelt).
– S. 224 ff.: Der Rabbiner Allen heißt natürlich mit vollem Namen Allen Stewart Konigsberg, alias Woody Allen. In “Annie Hall”/”Der Stadtneurotiker” von 1977 ist Woody kurz in der Maske eines Rabbi zu sehen, Sclavi macht daraus eine gesamte Figur. Die Szene mit Groucho ist deshalb so lang, weil ein Aufeinandertreffen von Groucho Marx und Woody Allen von historischer Bedeutung wäre.
– Die Szene auf den Seiten 245 bis 248 finde ich sehr eigenartig: Irgendein Halbstarker rast zufällig in den nur herumstehenden Terminator hinein, der Terminator erschießt ihn, und hinterher stellt sich heraus, dass der Name des Halbstarken ebenfalls “Hund” war? Wie unwahrscheinlich ist das denn? Den ersten “Hund” hat der Killer noch aufgesucht, den zweiten bei Scotland Yard unterwegs gefunden, aber dieser dritte schien ihm metaphysisch zuzufliegen, als sei dieser Terminator ein “Hund”-Magnet.
– S. 253: Hier wieder: “Beee-bop” (diesmal als Polizeisirene), daneben das “Sbrang”. Enden tut die Seite mit einem dumpfen “Sthump”, eingeleitet durch ein kreischendes “Skreeee”. Das ist schon fast symphonisch komponiert.
– S. 254: Ein weiteres Indiz dafür, dass die Musik, die zu hören ist, nicht übereinstimmen muss mit der Schallplatte, die zu sehen ist. Zu hören ist David Bowie, aber neben dem Plattenspieler steht ein Album von Gerry Mulligan, ein Jazz-Saxophonist, der für sein klarinettenartiges Spiel berühmt war. Was wiederum zu Dylans Lieblingsinstrument passt. Und warum Bowie? Weil Bowie in “Heroes” deutsch singt, und Dylan einem deutschen Wort auf der Fährte ist.
Zuerst vermutete ich übrigens, in der italienischen Originalfassung sucht der Terminator Leute, die “Cane” heißen, das italienische Wort für Hund, gleichzeitig aber auch als englischer Nachname (ausgesprochen: Käin), durchaus vorstellbar, zumal das Wort “Cane” im Englischen vorkommt und einfach nur “Stock” heißt. Jetzt aber glaube ich, dass er auch in der Originalfassung “Hund” sucht.
– S. 255: Was ist das eigentlich für eine Pudelfrisur, die Groucho hier spazieren führt? Sieht fast wie ein Afro-Look aus den 70ern aus.
– Die Seiten 267 und 268 sind richtig schlecht gezeichnet. Es wird zwar (einigermaßen und hastig) dargestellt, was inhaltlich passiert, die Bilder enthalten jedoch keinerlei künstlerischen Eigenwert mehr. Für einen Comic ist das zu wenig. Glücklicherweise sind die anderen Zeichner (im vorliegenden Sammelband vor allem Giampero Casertano) besser.
– S. 279: Der volle Name des Rabbis wird hier als “Woodrow Allen Hund” angegeben. “Woodrow” wegen Woody. Woody Allen selbst leitet sein “Woody” allerdings ganz anders her, und das ist durchaus interessant: Er nahm im Alter von 16 Jahren den Künstlernamen “Woody Allen” an, benannt nach dem Klarinettisten (!, denn Woody ist auch Klarinettist, er trifft quasi in Dylan Dog einen Gleichgesinnten) Woody Herman. Später änderte er seinen bürgerlichen Namen in “Heywood Allen”, um einen Bezug zu “Woody” zu erhalten. Also nichts mit “Woodrow”, stattdessen”Heywood“. Jetzt interessiert mich die Frage, ob Tiziani Sclavi selbst ebenfalls Klarinette spielt. Weiß da jemand etwas?
(Bei meiner diesbezüglichen, ergebnislosen Recherche bin ich auf Folgendes gestoßen: Es gibt wohl ein 1999 in Verona uraufgeführtes Bühnenstück namens “Dylan Dog” (Buch: Giorgio Gallione nach Tiziano Sclavi, Musik: Marco Tutino) für Sopran, Klarinette, Schauspieler, Tänzer und Orchester. Weiß auch darüber jemand etwas?)
– S. 293: “Halt durch, alter Käfer!” Stimmt ja, ein deutsches Auto fährt der von einer deutschsprachigen Prophezeiung heimgesuchte Dylan ja auch noch…
– S. 295: Dass die Mauer, gegen die Dylan brettert, mit einem Davidsstern markiert ist (und das deutsche Auto hierbei vollständig zerstört wird, spätestens auf der nächsten Seite) lässt auf schicksalhafte Vorbestimmung schließen.
ACHTUNG, ICH SPOILERE DAS ENDE:
Nun, die ganze Auflösung mit dem Golem war verhältnismäßig klar. Wenn in phantastischen Stoffen die hebräische Orthodoxie ins Spiel kommt, ist der Golem nie weit. Insofern ist auch der Schluss mit dem veränderten Wort auf der Stirn alles eins zu ein so, wie es die Golemsage beschreibt. Neu ist nur die Ineinssetzung mit dem moderneren Stahlskelett-statt-Lehm-“Terminator” (und vielleicht auch dem “Governator” Schwarzenegger, aber das war in den 80ern noch nicht abzusehen.)
Ein bisschen ungeschlacht bleibt die Geschichte allerdings.
Was hat der Golem mit London zu tun? Warum muss der Erlöser des Golem “Hund” heißen? Da der ursprüngliche Erschaffer und auch Bändiger Löw hieß, wäre “Löwe” naheliegender gewesen. Auch hat die Stadt Prag zwei Löwen im Wappen, London jedoch zwei Drachen. Aber über “Löwe” konnte man nicht auf “Dylan Dog” kommen. Über den jüdischen Glauben oder etwaige Ahnenreihen auch nicht. Sclavi musste hier also arg konstruieren, um überhaupt eine Verbindung zu seinem Serienhelden herstellen zu können. Dass diese dann sehr weit hergeholt wirkt, sei ihm verziehen. Er musste sich solche Plotsmonatlich ausdenken, eine fast übermenschliche Leistung. Dass er hier Woody Allen von Arnold Schwarzenegger würgen lässt, ist schon originell an sich, und führt zwei (auch, was das Publikum angeht) einander kaum überschneidende Kinohemisphären gewaltsam zusammen.
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